Medienspiegel Langnau Jazz Nights 2024

J A Z Z 19 COVERSTORY eingetrichtert, demütig zu sein und niemals respektlos gegenüber dem Publikum aufzutreten, nur weil wir denken, es würde unsere Musik nicht verstehen, weil die Leute selbst kein Instrument spielen. Wir Musiker neigen dazu, nur auf jene Dinge zu achten, die uns interessieren. Unsere Technik, unser Einfallsreichtum beim Komponieren. Doch die Mehrheit der Leute reagiert auf Musik mit Empfindungen. Man muss kein Jazz-Freak sein, um die Kraft von John Coltranes ”Alabama” zu verstehen. Darin verbirgt sich eine Schönheit, die weit über das hinausgeht, was man unter Jazz versteht. Genau solche Musik will ich machen. Und wenn die Leute nicht auf meine Musik reagieren, gebe ich nicht ihnen die Schuld, sondern mir selbst. JNM: Eine weitere wichtige Bezugsperson auf künstlerischer Ebene ist Regisseur Spike Lee, für dessen Filme Sie seit Jahren die Musik komponieren. TB: Ich pflege eine grossartige Arbeitsbeziehung mit Spike. Er hat als Regisseur eine völlig eigenständige Vision, dank der ich als Musiker in vielerlei Hinsicht reifen konnte und zu dem wurde, der ich heute bin. Spike gab mir eine Plattform, um mit anderen Arten von Orchestrierungen und Klängen zu experimentieren. Diese Erkenntnisse fliessen dann wieder zurück zu meiner Band. Die Tatsache, dass ich in verschiedenen Welten arbeiten darf, hat mir die Augen für viele Möglichkeiten geöffnet. JNM: Aus den Wechselwirkungen zwischen den Genres resultierten auch zwei Opern. Sie hatten allerdings schon in Ihrer Kindheit einen Bezug zu dieser Art von Musik. TB: Mein Vater liebte Oper und wenn er seine Platten auflegte, flüchteten die Leute, um einen Ort zu finden, an dem sie etwas Frieden und Stille vorfinden würden. Mir hat er immer gesagt: ”Hör dir das an, Junge. Das ist grossartige Musik.” Wenn heute Menschen über den melodischen Stil meiner Filmkompositionen sprechen, frage ich mich, ob das daherkommt, dass ich mir als Kind andauernd ”Carmen”, ”Rigoletto” oder ”La Bohème” anhören musste. Ich stelle mir gerade meinen Vater vor, der zu mir mit Genugtuung sagen würde: ”Aha, Du schreibst jetzt also selbst auch Opern?” (lacht) JNM: 2013 hatte Ihre erste Oper ”Champion” Premiere, 2019 folgte ”Fire Shut Up In My Bones”, die 2021 an der New Yorker Metropolitan Opera aufgeführt wurde, als erste Oper eines schwarzen Komponisten in der fast 140-jährigen Geschichte des renommierten Hauses. TB: Das war auch für mich ein Schock. Ich hatte keine Ahnung. Als die Journalisten mich zum ersten Mal danach fragten, dachte ich, sie hätten sich geirrt, weil New York ja schliess- lich das kulturelle Zentrum der ganzen Welt und für zahlreiche musikalische Revolutionen verantwortlich ist. Ich hatte zu jener Zeit in St. Louis einer Aufführung von ”Highway 1, USA”, einer Oper von William Grant Still, beigewohnt, die 1962 komponiert wurde. Ich musste anschliessend feststellen, dass William Grant Still dreimal von der ”Met” abgelehnt wurde mit der Begründung, dass er es nicht verstehe, was es braucht, um eine echte Oper zu schreiben. Ich dachte: ”Machen die Witze?”. Seine Musik klingt, als wäre sie aktuell, aber mit dem Verständnis ist das so eine Sache. Wir sollten vorsichtig sein: Nur weil man etwas nicht versteht, bedeutet das nicht, dass es keinen Wert hat. JNM: Sie bezeichnen den Stil Ihrer beiden Werke als ”Jazz in Opera”. TB: Ja, weil die meisten der Sängerinnen und Sänger neben ihrer klassischen Ausbildung einen zusätzlichen anderen Hintergrund haben, im Gospel, im Rhytm’n’Blues oder im Jazz. Ich habe ihnen erlaubt, diesen persönlichen Hintergrund in die Opernwelt einzubringen. Zudem erhielten sie die Chance, an gewissen Stellen zu improvisieren und anders zu phrasieren, was für sie etwas völlig Neues war. Dies dann zu kombinieren mit einigen der besten Orchester der Welt, war eine aufschlussreiche und inspirierende Erfahrung. JNM: Die ”Met” hat aus dem Erfolg Ihrer Oper gelernt und brachte später Ihre erste Oper ”Champion” auch auf die Bühne. Letztes Jahr wurde zudem ”X” von Anthony Davis ins Programm aufgenommen. Es bewegt sich etwas. TB: Nachdem ich ausgewählt wurde, hatte ich den Verantwortlichen der ”Met” mitgeteilt, dass ich nicht einfach als Alibi herhalten will, sondern dass mein Engagement Türöffner sein sollte für eine neue Zukunft. Für Komponistinnen und für Menschen anderer Kulturen, damit sie ihre Geschichten auf der Bühne dieser Grossstadt-Oper erzählen können. Das generiert auch neues Publikum. Die Oper ist nicht nur für jene, die Puccini, Verdi und Wagner lieben. Viele Menschen haben zu dieser Art von Musik keine Verbindung und betrachten die Vergangenheit und die Gegenwart aus einer anderen Perspektive. Wenn wir hingegen aktuelle Geschichten erzählen, dann können wir diese Menschen in die Opernwelt einführen. Das würde ich mir wünschen, denn schliesslich ist die Oper die höchste Form des Musiktheaters. JNM: Und vielleicht finden umgekehrt auch die Opernfreunde den Weg in den Jazzclub. TB: Während der Proben zu ”Fire Shut Up In My Bones” waren die Beteiligten an der Produktion neugierig, wie ich spiele. Die hatten mich zuvor noch nie gesehen und immerhin verbrachten wir zwei Monate miteinander, in denen wir probten und ich ihnen zuhörte. Also organisierten wir ein Pop-up-Konzert in einem New Yorker Club und der war dann brechend voll. Ich weiss nicht, wie es um das Interesse beim Opernpublikum bestellt ist, aber auf der Seite der Aufführenden war eine grosse Neugierde spürbar, was den Jazz betrifft. JNM: Sie haben lange Jahre auch gelehrt. Was geben Sie nebst den technischen Aspekten des Jazz der jüngeren Generation mit auf den Weg? TB: Viele junge Menschen denken erst einmal an Erfolg. Aber es existieren keine Regeln, die Erfolg garantieren. Man hat Erfolg, weil man Musik schafft, die bei anderen Menschen etwas bewegt. Um dies tun zu können, muss man das Handwerk erlernen, die Musikgeschichte kennen und keine Angst haben, Risiken einzugehen. Egal, für welchen Stil man sich entscheidet. Es geht darum, eine Kunst zu schaffen, die andere erfreut, berührt oder ihnen hilft, schwere Zeiten zu überwinden. Musik kann heilen und deshalb sollte man jeden Abend rausgehen, um Musik zu machen, und dabei nie stillstehen. Da halte ich mich an ein Zitat meines Trompetenlehrers: ”Man steht nie still. Denn selbst wenn man denkt, dass man stillsteht, dreht sich die Welt weiter.” Man muss sich also immer weiterbewegen, um Schritt zu halten, und dabei stets neue Wege und andere Denkweisen erkunden, um sie dann zu Musik machen zu können. ■ Hommage an Wayne Shorter und Herbie Hancock Terence Blanchard wird gemeinsam mit seinem E-Collective und dem Atom String Quartet im Rahmen der Langnau Jazz Nights auftreten. Dabei wird er neben Stücken seines letzten Albums ”Absence” (2021, Blue Note), das Wayne Shorter gewidmet ist, auch Teile seines von Herbie Hancock produzierten Albums ”Flow” (2005, Blue Note) neu interpretieren. Er sei enorm stolz auf dieses Album, sagt Blanchard. ”Deshalb wollen wir diese Musik 20 Jah- re später wieder aufgreifen.” Schon allein durch die Besetzung mit einer elektrischen Band und Streichern wird Blanchard ein neuer Blick auf diese Platte gelingen. KONZERT Terence Blanchard feat. E-Collective with Atom String Quartet Dienstag, 23. Juli 2024, Kupferschmiede Langnau, 22.15 Uhr www.terenceblanchard.com JNM_04_24_18-19_Terence Blanchard.indd 19 24.06.24 20:29

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