6 REVIEWS J A Z Z Dave Holland und FOTO: DRAGAN TASIC FOTOS: FOTO-GRAF.CH Langnau Jazznights, 23.–27.7.2024 – In der Wohlfühlzone Die Langnau Jazz Nights, dieses Jahr zum 32. Mal ausgetragen, brauchen sich nicht jedes Jahr ”neu zu erfinden”, wie es jeweils heisst, wenn Kunst durch Kommerz, Qualität durch Klamauk und Beständigkeit durch Zeitgeist ersetzt werden sollen. Vieles ist und bleibt in Langnau so, wie es schon seit Jahrzehnten ist: die Gratis-Nachmittagskonzerte auf dem sogenannten Viehmarkt, wo man unterm aufgespannten Zeltdach an langen Bänken mit der Langnauer Dorfbevölkerung zusammensitzt und die Teilnehmer der diversen Workshops zeigen, was sie am Vormittag gelernt haben. Die frühabendlichen Jamsessions in der kleinen Weinhandlung des ehemaligen Weltklasse-Bassisten und Festivalgründers Walter ’Walle’ Schmocker. Die Konzerte im Kulturzentrum Kupferschmiede und die anschliessenden Jamsessions in der Festivalbeiz Kupfergabel. Man muss dies alles erwähnen, denn es macht einen Grossteil jener ausserordentlichen Atmosphäre aus, welche die Jazznights zu einem der stimmungsvollsten Schweizer Jazzfestivals macht. Jazzgeschichte(n) – neu herausgeputzt Natürlich, wer Aufschluss über die neuesten Sounds, Geräusche und Kreationen der internationalen Avantgarde erwartet, der wird in Langnau kaum fündig. Das Programm, fast durchwegs swingender Mainstream-Jazz, orientiert sich weitgehend an der nordamerikanischen Clubszene. Und viele Musiker sind, oft in anderen Besetzungen, nicht zum ersten Mal in Langnau zu hören. So auch Aaron Goldberg, der hochbegehrte Begleitpianist zahlreicher grosser Namen. Dieses Jahr spielte er zum ersten Mal mit seinem eigenen Trio in Langnau. Goldberg ist, wie einst Bill Evans, in dessen Tradition er spielt, ein Meister fein ziselierter Melodielinien und raffiniert ausgeklügelter Spannungsbögen. In Langnau spielte er ein hochvirtuoses Programm mit Jazzstandards, Kompositionen brasilianischer Musik wie Djavan und – als Höhepunkt seiner grossartigen Balladenkunst – Abdullah Ibrahims Maraba Blue. Ganz anders der Pianist Ethan Iverson, ein anderer Langnau-Habitué, den man von seinen Auftritten mit The Bad Plus her kennt und der in Langnau ebenfalls mit seinem eigenen Trio auftrat. Nach etwas gar intellektuell zergrübelten ersten zehn Minuten kam sein Trio, angetrieben vom kräftig zulangenden Schlagzeuger Kendrick Scott dann doch noch ganz schön in Fahrt; es entwickelte sich ein durchtriebenes Phrasen-Pingpong, in dem Iversons Mitmusiker durchaus eine gleichberechtigte Stimme hatten. Hier ging es weniger um gross angelegte Spannungsbögen als vielmehr um ein blitzschnelles Agieren und Reagieren, um ein raffiniertes Spiel mit überraschenden Wendungen und Pausen. In Routine erstarrt Und: Bei allem routinierten Auftreten wirkte die chilenische, in den USA lebende Tenorsaxophonistin Melissa Aldana in Langnau etwas gar verdruckst. Obwohl von einer brillanten Rhythmusgruppe um den deutschen Pianisten Pablo Held getragen, kam das immer wieder zerbrösmelnde Spiel der jungen Musikerin kaum über die Reproduktion gängiger Klischees hinaus. Auch etwas in Routine erstarrt wirkte am Schlusstag das hochkarätig besetzte FrauenQuintett ”Artemis” um die Pianistin Renée Rosnes und die Trompeterin Ingrid Jensen. Gewiss, da sass alles tadellos, die sauber arrangierten Kompositionen, die elaborierten Soli von Rosnes und Jensen, der Drive der Rhythmusgruppe, aber: Ohne Spielfreude, ohne Lust am Fabulieren, ohne das Feuer und ohne den Antrieb, das Publikum mitzureis- sen, retten auch Technik, Virtuosität und elegante Perfektion nicht die Imagination, einen einmaligen Moment mitzuerleben. Unerträgliche Lärmattacken Richtig laut und wild wurde es bei den bei- den Sets eines Quartetts um den Saxophonisten Donny McCaslin und des Fusion-Kollektivs Butcher Brown, fünf jüngeren Musikern zwischen Jazz, R’n’B, Hip-Hop und Krawall. Wem ein intaktes Gehör wichtiger ist als der ausgefallene Kunstgenuss einer orkanartigen Lärmattacke, der konnte wie der Berichterstatter ob der unerträglichen Lautstärke nur das Weite suchen. Nicht bloss, aber halt auch für Langnau gilt: Schlechte Musik wird nicht gut und gute Musik nicht besser, wenn man das Publikum durch überwältigende Lautstärke zudröhnt. Über weite Teile ging es dieses Jahr allerdings etwas gemächlicher zu. Der Gitarrist John Scofield und der Bassist Dave Holland, zwei der grossen Namen der Jazzgeschichte, spielten eine Art Altherren-Jazz, perfekt, souverän, aber in seiner Abgeklärtheit dann doch fast ein klein bisschen langweilig. Da war man denn richtig froh, dass das einstige Piano-Trio ”The Bad Plus” (mit Ethan Iverson), das sich inzwischen dank des Saxophonisten Chris Speed und des Gitarristen Ben Moder in ein pianoloses Quartett verwandelt hat, ebenso wie die Ad-hoc-Band der Workshop-Lehrer etwas von dem heissen Atem spüren liess, ohne den noch der beste Jazz nicht viel mehr ist als schon fast industriell produzierte Ware, die sich einfach gut verkaufen lässt. Und erst recht freute man sich über den einzigen Schweizer Act auf der Hauptbühne, der bei aller Unvollkommenheit genau dieses Gefühl von Neugier, Wagemut und Dringlichkeit hinüberbrachte: die Berner Gruppe Blaer um die Pianistin Maja Nydegger, die Jazz und Elemente der Minimal Music zusammenschichtete zu einer ruhigen, besinnlichen und meditativen Musik, auf die man sich konzentriert einlassen muss, wenn sie nicht bloss als dekorativen Background missverstehen will. Christian Rentsch Dave Holland/John Scofield The Bad Plus Aaron Goldberg Blaer JNM_05_24_06-17_REV.indd 6 27.08.24 09:04 Jazz'n'more, September/Oktober 2024
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