Medienspiegel Langnau Jazz Nights 2024

25 Freitag, 26. Juli 2024 Der kleine Martin Burkhalter Das sympathische, mit amerikanischem Akzent ausgesprochene «Guten Abend, meine Damen und Herren» kommt erst nach einer Dreiviertelstunde. Vorher gibt es auf der Bühne in der Langnauer Kupferschmiede erst mal sehr ernste Gesichter, eine bedrohlich pulsierende Halsschlagader und nie gehörte Überwältigungsmusik, eine Art wabernden, wälzenden, ScienceFiction-Jazz. Oder: «really crazy stuff», wie der lange Mann mit dem Saxofon es ausdrückt. «David Bowies David Bowie» Die unerschrockenen Langnau Jazz Nights dürfen sich rühmen, seit über dreissig Jahren jeweils Ende Juli die ganz Grossen des Jazz ins schöne Emmental zu holen. Und am Mittwochabend steht nun tatsächlich einer der berühmtesten Saxofonisten der Welt auf der Bühne und zeigt einer nahezu ausverkauften Kupferschmiede, wie man den Jazz neu macht. Donny McCaslin heisst er. Mit ihm auf der Bühne stehen seine langjährigen Weggefährten: der Keyboard- und Electronica-Hexenmeister Jason Lindner und der Bassvirtuose Tim Lefebvre. Am Schlagzeug eingesprungen für den Gig in Langnau ist der futuristische Turbo-Schlagzeuger Zach Danzinger. Weltberühmt ist McCaslin vor allem deshalb, weil er gemeinsam mit Lindner und Lefebvre auf David Bowies letztem und hochgelobtem Album «Blackstar» von 2016 amtete. Dieses Engagement verschaffte ihm nicht nur das Label «David Bowies David Bowie», sondern hinterlässt auch den Eindruck, als hätte seine Karriere erst da richtig begonnen. Wunderkind aus Kalifornien Dabei war der damals 50-jährige McCaslin schon längst ein gefeierter Jazzmusiker. Er hatte schon zehn Alben als Bandleader, mehr als sechzig als Sideman veröffentlicht. Im kalifornischen Santa Clara aufgewachsen, spielte er schon als Teenager in der Band seines Vaters, der ein Vibrafonist war. In der Highschool gründete Donny McCaslin dann seine eigene Band und wurde drei Jahre in Folge für das honorige Monterey Jazz Festival ausgewählt. Anfang der 1990er-Jahre zog er nach New York, wo er etwa im Gil Evans Orchestra, in der George Gruntz Concert Jazz Band und im Maria Schneider Jazz Orchestra spielte. Während er Anfang der Nullerjahre selbst eher noch mit Post-Bop experimentierte, fand er spätestens mit dem Album «Casting for Gravity» von 2012 zu seinem ganz eigenen, genreübergreifenden Ausdruck – einem mit Funk und AmbientSoundscapes verschmolzenen Avant-Jazz. Doch war es die Zusammenarbeit mit David Bowie, die ihn letztlich ganz frei machte. Seither wandelt Donny McCaslin auf hohen Pfaden und veröffentlicht mutige und innovative Alben, die viel wagen und eigentlich immer gewinnen. Mit seinem letzten – «I Want More» – ist er nun an die Jazz Nights gekommen. Wenn R2D2 ein Jazzer wäre Es ist diese kraftvolle Freiheit, die man in der Kupferschmiede von Anfang an spürt und die einem gleich tief in die Seele fährt. Da braucht es auch keine Einführung. Kein Herantasten. Die vier legen einfach los, irgendwo in einer Mitte, so scheint es, und arbeiten sich dann hinaus in die unendlichen Weiten dieses flirrenden, blinkenden, wunderbar wuchtigen Spaceship-Jazz. Das Album «I Want More» ist dabei nur eine Folie, die einzelnen Songs von «Landsdown» über «Stia» und «Fly My Space Ship» bis zu «Turbo» fungieren nur als kurze Stopps auf einer abenteuerlichen Reise, die aus dem Moment heraus entsteht. Zu hören kriegt das sichtlich erstaunte bis begeisterte Langnauer Publikum eine Art verjazzte, rohkantige und doch immer wieder schön groovende Clubmusik mit schwelgerischen, manchmal tropfenden Synthesizerschichten und handgemachtem Highspeed-Drum-’n’- Bass. Ein bisschen retro Dazwischen schwelen herrlich verschleppte Reggaebeats, dann wieder versprüht diese Musik die Wuchtigkeit des allerfrühesten Hardcore-Rap. Mal klingt es, als wäre der «Star Wars»-Roboter R2D2 selbst zum Jazzmusiker geworden. Aber auch 1980erSchmacht-Saxofonklänge dürfen durch die Kupferschmiede hallen und stören dabei nicht einmal. Sowieso sind ein paar dieser Synthiesound-Girlanden vielleicht nicht die unbedingt taufrischesten und verbreiten einen süsslichen Retrogeruch. Klar ist, dass man von der ersten Minute an wie gefangen ist in diesem seltsamen, retrofuturistischen McCaslin-Universum, voller Sonnenstürme und explodierender Sterne. Es ist ein grosses, ein ungestümes, ein sehr offenes Konzert, das dann – wenig überraschend – mit einem Song von Bowies «Blackstar»-Album ein würdiges, entschleunigendes Ende findet: einer instrumentalen Version von «Lazarus». So viel Freiheit, so viel Kraft: Donny McCaslin in Langnau Jazz Nights Sein Auftritt auf David Bowies Album «Blackstar» machte ihn weltberühmt. In der Kupferschmiede gab der Saxofonist Donny McCaslin ein geradezu extraterrestrisches Konzert. Manchmal nahm die Halsschlagader bedrohliche Ausmasse an: Donny McCaslin. Foto: Raphael Moser Die vier Musiker arbeiten sich hinaus in die unendlichen Weiten dieses flirrenden, blinkenden Spaceship-Jazz. Wer kennt das nicht? Man hört im Radio ein Lied und erkennt bereits nach wenigen Sekunden Elvis Presley anhand seiner einzigartigen Stimme. Diese individuelle Qualität, die eng mit der Persönlichkeit des Künstlers verbunden ist, zeichnet einzigartige Künstlerinnen und Künstler aller Zeiten und Genres aus. Ebenso erkennen wir sofort Maria Callas oder Amy Winehouse. Doch die Stimme oder weitere persönliche Eigenschaften eines Künstlers laufen neuerdings Gefahr, durch künstliche Intelligenz (KI) beliebig weiterverwendet und damit von der Künstlerpersönlichkeit abgetrennt zu werden. Am 1. Juli ist im US-Bundesstaat Tennessee der «Ensuring Likeness Voice and Image Security Act» (kurz «Elvis Act») in Kraft getreten. Die Namensgebung ist nicht zufällig identisch mit dem Vornamen des «King of Rock’n’Roll». Es ist das erste Gesetz in den USA, das spezifische Regeln für die Nutzung von Künstlerstimmen durch KI-Technologien vorsieht und Interpreten vor der unbefugten Nutzung ihrer Stimme und deren Wiedererkennungswert schützt. Die Plattenindustrie unterstützte das Gesetz bereits in der Entstehungsphase. Sie befürchtet, dass Tonträger bekannter Interpreten zum «Antrainieren» von KI verwendet werden, um «KI-Klone» herausragender Stimmen zu erzeugen und damit den Markt mit nahezu kostenlos produzierten Duplikaten zu überschwemmen. Widerstand gegen das Gesetz zeigte unter anderem die Motion Picture Association. Sie befürchtet rechtliche Hindernisse durch eine zu extensive Anwendung des Gesetzes, sodass etwa Schauspieler nicht mehr Künstlerpersönlichkeiten imitieren könnten. Unternehmen wie Amazon, Google und Open AI sehen die KI-gestützte Produktion von Musik und deren grosses kommerzielles Potenzial gefährdet. Für Künstler hingegen stellt das Gesetz einen wichtigen Schritt dar, ihre einzigartigen Merkmale zu schützen, wovon auch die Tonträgerindustrie profitiert. Es wird bereits diskutiert, ob das Gesetz auch international als Vorbildgesetzgebung dienen könnte. Die schweizerische Rechtsordnung kennt zwar keine spezialgesetzliche Regelung zum Schutz von interpretenspezifischen Merkmalen, jedoch können gemäss dem schweizerischen Urheberrecht ausübende Künstler sowie Hersteller von Tonträgern die Vervielfältigung und Verbreitung untersagen, worunter auch die Verwendung als «Trainingsmaterial» für KI fallen kann. Das Persönlichkeitsrecht des Zivilgesetzbuches schützt zudem vor der Verletzung der Persönlichkeit des Künstlers, weil die Nutzung der Stimme durch KI eine Persönlichkeitsverletzung darstellen kann. Mit der rasanten Weiterentwicklung von KI wird die Diskussion über spezifische regulatorische Massnahmen an Bedeutung gewinnen. Die neue KI-Verordnung der EU enthält zwar Regelungen zur Verwendung von KI, sie regelt jedoch nicht spezifisch die Nutzung künstlerischer Darbietungen für KI-gestützte Musikgenerierung und ist zudem in der Schweiz (als Nicht-EU-Mitgliedsstaat) nicht anwendbar. In Anbetracht der steigenden Relevanz von KI für Künstlerinnen und Künstler braucht es voraussichtlich auch in der Schweiz eine Diskussion über die Notwendigkeit einer spezialgesetzlichen Regelung – ähnlich dem «Elvis Act». Marian Gabriel Weber Marian Gabriel Weber ist Jurist und Substitut in der Zürcher Anwaltskanzlei Stern. Wer singt wirklich? Elvis oder sein KI- Duplikat? KI könnte dazu führen, dass die Stimmen bekannter Musiker missbraucht werden. Wir müssen über bessere Gesetze diskutieren. Gastbeitrag

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