Medienspiegel Langnau Jazz Nights 2017
J A Z Z ‘ N ‘ MO R E J A Z Z 24 war er sehr offen und ging spontan auf unse- re Ideen und Vorschläge ein. Die Zusammen- arbeit und Resultate waren ein besonderer Aufsteller, weil er damit so zufrieden war. Das und ihn kennenzulernen als einen sehr auf- richtigen Mensch, der seine Visionen ohne faulen Kompromiss verfolgte, war ein Erlebnis. Aber von seiner schweren Erkrankung liess er sich nichts anmerken. Er lebte total in der künstlerischen Welt, kannte die Geschichte und war vielseitig interessiert: an Filmen, bil- dender Kunst, Literatur, Musik ... Ich erlebte ihn als jemanden, der fähig war, verschie- denste Informationen schnell zu erfassen und seinen Zielen nutzbar zu machen. Das hat mich sehr beeindruckt. "Auch Bowies Umgang mit Musik, seine Arbeitsweise vom Entwurf der Musik bis zur Aufnahme gab mir eine Fülle von Anregungen." JNM: Dann war sein Einfluss eher mensch- lich, weniger stilistisch? DM: Ja, David beeindruckte mich besonders als kreative Person. – Stilistisch ...? Was mir an ”Blackstar” so gefällt, ist die unbeantwortbare Frage, wie man diese Musik benennen soll. Was ist das? Pop, Rock, Jazz? Nein, das ist neue Musik, einzigartig und mit Vorreiter-Be- deutung. Wie gesagt: David hatte seine Vi- sion und folgte ihr unbeirrbar. Das sagt viel aus über seine Charakterstärke. JNM: Ähnliches darf man über deine neue CD ”Beyond Now” sagen. Beim Anhören deiner Musik begann ich mit der neuesten CD und ging dann zurück zu früheren – und stellte fest: ”Beyond Now” mit seinen elekt- ronischen Elementen kann auch nicht leicht etikettiert werden. DM: Ja, wenn ich aufgefordert werde, zu be- schreiben was wir tun, dann sage ich einfach 'eine Erforschung des Zwischenbereichs von Jazzimprovisation und Live-Elektronik'. Aber dahinter steckt natürlich viel. Als Fundament teilen wir diverse gemachte Erfahrungen, eine gemeinsame Sprache und Ästhetik. Alle sind grosse improvisatorische Erfinder, die im Mo- ment spüren, wohin die Musik geht und das ausschöpfen können. Auch David Binney ver- dient ein Kompliment. Er hat schon mehrere meiner CDs produziert. Wir nahmen die Mu- sik live auf, aber David hat im Studio mit dem Synthesizer kleine Ideen hinzugefügt und dann Mix und Mastering gemacht. Ein starkes Teamwork. JNM: Deine Band existierte schon, bevor Maria Schneider sie David Bowie empfohlen hatte. Hat die Blackstar-Erfahrung das Quar- tett klanglich und konzeptionell verändert? DM: Nein, wir hatten bereits unsere Identi- tät. Und das war auch so aufregend, als ich erstmals den fertigen Mix von ”Blackstar” an- hörte: Die Musik klingt wie wir! "... und das war auch so aufre- gend, als ich erstmals den ferti- gen Mix von Blackstar anhörte: Die Musik klingt wie wir!" JNM: Erlaube eine Analyse: Du spielst viele melodische Linien und Glissandi und weni- ger Mehrklänge und Sounds wie z. B. der späte Coltrane oder Pharoah Sanders. Die Sounds auf der CD stammen eher von den elektrischen Instrumenten und dem Studio- Overdubbing. Du sagst, dass die Elektronik ein Umfeld für dein Spiel schafft. Aber dein Konzept hat sich klanglich auch sehr erwei- tert. Ich meine, du bist immer noch klar er- kennbar, aber Stücke wie ”Bright Abyss” sind schon eine Soundscape. DM: Ich bin einverstanden. Und seither habe ich ja auch begonnen, das Tenorsaxophon mit Live-Elektronikgeräten zu spielen. Das ist mein neues Ding. Für das neue Sound-Poten- zial entstehen andere Themen, die wir live austesten und weiter entwickeln. Darauf fo- kussiere ich mich gegenwärtig. JNM: Kann es sein, dass auch unorthodoxe fremde Songs dich zu neuen eigenen inspi- riert haben? Ich sehe eine besonders deut- liche Verbindung zwischen dem Track ”Coelacanth 1”, einem Song des elektroni- schen House-Musikers Deadmau5, und dem darauf folgenden ”Bright Abyss” von dir ... DM: Ja, ich habe beim Entwurf der Musik Deadmau5 und verwandte Musik gehört. Sie hat mich definitiv angeregt. JNM: Wie wird die erweiterte Klangpalette der Band wirksam? Legst du nun beim Schreiben neuer Themen auch den Sound – z. B. die Registrierung der Keyboards – fest? DM: Wenig. Da muss ich Jason Lindner und seine Synthesizer hervorheben. Er prägt den Klang stark. Beim Proben eines neuen The- mas erkläre ich z. B., dass ich mir dazu einen streicherartigen Sound vorstelle. Aber Jasons Intuition ist oft besser. Mit grosser Fantasie kreiert er spontan fantastische Sounds. Er hat erstaunlich genaue Vorstellungen, weil er die Möglichkeiten immer weiter erforscht. JNM: Etwas ziemlich anderes: Du bist neu auch auf der CD ”The Passion of Charlie Parker” zu hören, mit einer Reihe von Sän- gerinnen und Sängern wie Madeleine Peyr- oux, Barbara Hannigan, Gregory Porter und Kurt Elling ... DM: Das ist ein Geisteskind des Produzenten Larry Klein. Er arbeitete auch mit einem Tex- ter, um für jedes Parker-Thema Lyrics zu ha- ben. Aber ich bin natürlich ein grosser Char- lie-Parker-Fan. Für meine kleine Tochter bin ich jeden Morgen früh aufgestanden, und so gab’s auch ein Wiederhören, denn ein New Yorker Radiosender bringt wochentags eine Charlie-Parker-Morgenshow. Darum habe ich in den letzten acht Jahren täglich Bird gehört und dabei eine total neue Wertschätzung entwickelt. Bereits als Zwölfjähriger habe ich mit dem Parker-Omnibook begonnen, weil es alle so machten. Ich las die Noten, doch seine Genialität erkannte ich damals noch nicht. Et- was später suchte ich dann natürlich meinen eigenen Sound und setzte mich davon ab. "Bei Charlie Parker geht es mir mehr um den geistigen Horizont eines der grössten Improvisatoren." JNM: Die Vokalisten interpretieren Parker, aber deine Soli kommentieren ihn recht frei und auf deine eigene Weise. Charlie Parker hat dich mitgeformt, aber nicht indoktri- niert. DM: Ja, es ist ein anderer, persönlicher Zu- gang zu Parker. Es geht mir mehr um den geistigen Horizont eines der grössten Impro- visatoren. ”The Passion of Charlie Parker” ist eine eigenartige CD, aber ich mag sie. JNM: Danke für dieses Gespräch. Eine Schlussbemerkung? DM: Zur Schweiz habe ich eine besondere Beziehung. Zwar scheint es schon lange her zu sein, seit mich George Gruntz in den 1990er-Jahren erstmals in die Schweiz in seine Big Band eingeladen hat. Aber bei je- dem Besuch denke ich an ihn. Er hat junge Musiker wie mich sehr unterstützt, und mit seiner Band durfte ich grossartige Gigs er- leben. Ich traf George erstmals 1990, als ich im Gary Burton Quintet beim Jazzfestival Berlin spielte, dessen künstlerischer Leiter er war. Er war ein zugänglicher, begeisterungs- fähiger Mensch – und mit der Musik und den interessanten Projekten, die er realisierte, ein Schwerarbeiter. Ich erinnere mich an ihn mit Respekt und Dankbarkeit. ■ AUSGEWÄHLTE DISKOGRAPHIE �� David Bowie: Blackstar, Sony 2017 Das aktuelle Quartett McCaslin-Lindner-Levebvre-Giuliana �� Donny McCaslin: Beyond Now, Motema 2016 �� Donny McCaslin: Fast Future, Greenleaf 2015 �� Donny McCaslin: Casting for Gravity, Greenleaf 2012 �� The Passion of Charlie Parker, Impulse 2017 �� Donny McCaslin Trio: Recommended Tools, Greenleaf 2008 www.donnymccaslin.com JNM_06_17_22-24_McCaslin.indd 24 25.10.17 23:29
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