Medienspiegel Langnau Jazz Nights 2017
J A Z Z ‘ N ‘ MO R E J A Z Z 23 JAZZ’N’MORE: Du stehst mit 51 Jahren in der Mitte des Lebens ... Donny McCaslin: Es war eine intensive Rei- se, und wenn ich zurückblicke auf meine frü- hen 20er, als ich mit Gary Burtons Band erst- mals international auf Tournee ging, dann scheint das schon eine Ewigkeit her zu sein. So viel hat sich ereignet und ich denke, ich habe mich als Mensch und Musiker sehr ver- ändert. Ich lebe sehr im Jetzt, kümmere mich nicht darum, was als Nächstes kommt. Bis in die jüngere Zeit – seit ich mehr Interviews gebe – habe ich eigentlich kaum über mein bisheriges Leben nachgedacht. Ich bin dank- bar, dass bisher alles so gut gelaufen ist und die Perspektiven positiv sind. Es gibt immer viel zu entdecken und erforschen, und meine Neugier auf verschiedene Musikarten ist nicht kleiner geworden. Alles, was ich in den letz- ten dreissig Jahren erlebt habe, hat mir ge- holfen, das zu sein, was ich heute bin. Es gab Zeiten, wo ich nicht so viel spielte, aber heute bin ich erfahrener und musikalisch besser ge- rüstet, mit den Belastungen umzugehen und mein Bestes zu geben. Ich bin fokussierter und schreibe viel neue Musik. "Die Ursprünge meines Inter- esses für Rock und Elektronik liegen weit zurück." JNM: Du hast lange nur akustisch gespielt, aber live-elektronische Elemente werden immer wichtiger. Wo hat das begonnen? DMC: Die Ursprünge liegen weit zurück. Ich wuchs in Südkalifornien mit Jazz auf, denn mein Vater war ein Vibraphonist und Pianist. Seine Band spielte eine Kombination von po- pulären Standardsongs, Latin Jazz in der Art von Cal Tjader und funkigen Themen wie ”Mercy, Mercy, Mercy” und ”Mustang Sally”. Meine Eltern waren geschieden, und wenn ich meinen Vater einmal in der Woche traf, dann sass ich bei den Musikern, mit denen er vier bis sechs Stunden täglich spielte. Das war meine erste Erfahrung mit Live-Musik. Als ich mit zwölf zu spielen begann, profitierte ich von einem sehr guten Highschool-Musikpro- gramm. Der Bandleader war befreundet mit Bill Berry, der bei Duke Ellington spielte und ihm alle Arrangements Dukes weiterreichte – in einer Zeit, wo diese nur schwer zu finden waren. Mit 14 spielte ich also vier bis fünf Tage pro Woche Ellingtons Musik und hörte meinem Vater am sechsten Tag zu. In Santa Cruz lebte auch der Elektrobassist Paul Jackson, bekannt von Herbie Hancocks Headhunters. Mit 16 wurde ich für ein Jahr Mitglied seiner Band. Wir spielten einmal wö- chentlich, sehr locker. Als Teenager war ich auch in der Bläsersektion einer Salsa Band. Santa Cruz wurde häufig von den grossen Reggae-Bands besucht, die ich alle kennen- lernte: Peter Tosh, Jimmy Cliff und viele mehr. Zudem wurde das Kuumbwa Jazz Center er- öffnet und von 1976 an fand dort jeden Mon- tagabend ein Konzert statt. Mein erstes Kon- zert war die Band von Elvin Jones – ich war damals zwölf. Danach kamen McCoy Tyner, Sonny Fortune, Cedar Walton, Art Blakey ... alles von Rang und Namen trat da auf. Es gab auch ein ausgezeichnetes Community-Col- lege-Programm für Jazz. Beim dritten Anlauf wurde ich aufgenommen und spielte zweimal wöchentlich in der Big Band. Ich wuchs also in einem sehr fruchtbaren Umfeld auf, das stilistisch breit war. Schon damals liebte ich auch Rock und elektrische Musik. "2010 schlug David Binney plötzlich eine elektrische Produktion vor." Meine ersten CDs sind rein akustisch. Schon damals war ihr Produzent aber mein Jugend- freund, der Altsaxophonist David Binney. Wir trafen uns jeweils, um die nächste CD zu dis- kutieren, und etwa 2010 schlug er plötzlich eine elektrische Produktion vor, die dann den Titel ”Perpetual Motion” erhielt. Damals war ich beeinflusst von meinen frühen Erlebnis- sen wie Tower of Power, Cannonball Adder- ley und Led Zeppelin. Wir gingen mit diesem Programm dann auf Tournee – mit Tim Le- febvre (el-b), Adam Benjamin (fender), Uri Caine und Antonio Sanchez. ”Sonic Landsca- pes”, mit oder ohne Elektronik erzeugt, be- gannen mich zu interessieren, kombiniert mit harten Rhythmen. Wegen ihrer Soundästhe- tik waren aber auch die ECM-Aufnahmen von Keith Jarrett mit Jan Garbarek eine wichti- ge Inspiration. Besonders ”Belonging” ist eine erstaunliche Platte und seit Langem eine mei- ner Lieblingsplatten. JNM: Aber auch auf noch früheren Aufnah- men gibt es Elektronik. Ich denke besonders an das ziemlich experimentelle Projekt Xan Lang zusammen mit Binney, Scott Colley und Kenny Wollesen Ende der 1990er-Jah- re. Wurde da die Elektronik live verwendet oder beim Studiomix hinzugefügt? DMC: Diese kollektive Band hat in meiner Entwicklung eine wichtige Rolle gespielt. Ich vermute, David fügte die Elektronik im Studio hinzu. JNM: Gitarristen und Keyboard-Spieler ha- ben ja früh erfolgreich Elektronik benutzt, aber die Frage war immer, ob es auch für Saxophonisten und andere Bläser Möglich- keiten gibt. Da war z. B. Eddie Harris mit dem Multivider und Wahwah-Pedal, aber musikalisch bedeutete das keine grosse Er- weiterung. Wie hast du – mit deiner starken Verankerung in der progressiven Bebop-Äs- thetik – die Elektronik zu verwenden begon- nen? "Auf der elektronischen Seite eröffnet sich ein neues Umfeld, das ich erkunden kann." DMC: Meine jetzige Band begann vor ein paar Jahren als ein gemischtes Projekt – pari- tätisch mit akustischen und elektrischen Inst- rumenten. Ich spielte ins Mikrophon, aber der Bassist Tim Lefebvre benutzte via Tonabneh- mer bereits Pedale und der Keyborder Jason Lindner konnte den Sound mit Pedalen, aber auch direkt mit dem Instrument manipulieren. Ich war fasziniert, was sie hervorbrachten und schlussendlich beschaffte ich mir im letzten März ebenfalls Pedale. Mit einem Clip-Mikro- phon am Saxophon geht der Ton durch einen Vorverstärker zu verschiedenen Pedalen. Ei- nes, das ich besonders liebe, ist der Ringmo- dulator, der im Wesentlichen den Ton auf ver- schiedene Weisen transformiert. Dazu kom- men weitere Pedale wie Delay. Heute ist die Band mehr auf die elektroni- schen Seite gerückt und mir eröffnen sich eine ganze Reihe von zusätzlichen Ausdrucks- möglichkeiten. Ich befinde mich regelrecht in einem neuen Umfeld, das ich erkunden kann. Ich kann z. B. einen Ton spielen, ihn wiederho- len und gleichzeitig manipulieren. Das heisst, ich kann auch mit den Pedalen improvisieren. Diese Methode passt besser zu dem, was meine Kollegen auf ihren elektronischen Inst- rumenten tun. Ich arbeite daran und es macht wirklich Spass. Auch meine neuen Themen sind nun anders, zugeschnitten auf die Verwendung der live improvisierten Soundscapes. Schon beim Schrei- ben höre ich, dass ich hier Distortion brau- chen kann und dort Repetition. JNM: Im Frühling 2015 hat deine Band mit David Bowie ”Blackstar” aufgenommen. War der Schritt zu mehr Elektronik auch von dieser Kollaboration beeinflusst? DMC: Für die klangliche Manipulation des Saxophons kaum. Aber in anderer Beziehung war die Zeit mit David von erstrangiger Be- deutung! Ich konnte genau mitverfolgen, wie er seine Musik für die Gruppe komponierte. Schon als Mitglied des Dave Douglas Quin- tet machte ich diesbezüglich Erfahrungen. Ich musste mir damals eine ganze Reihe von Da- ves Themen aneignen und er ist ein Meister der Themenkomposition. Auch Bowies Um- gang mit Musik, seine Arbeitsweise vom Ent- wurf der Musik bis zur Aufnahme gab mir eine Fülle von Anregungen. Ich vertiefte mich in seine Stücke, verfolgte, wie er sie konstruierte und lieferte dazu die Bläserparts. Dabei liess er mir viel Freiheit. Auch bei den Aufnahmen JNM_06_17_22-24_McCaslin.indd 23 25.10.17 23:29
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