Medienspiegel Langnau Jazz Nights 2017

J A Z Z ‘ N ‘ MO R E R e v i e w s J A Z Z 9 Langnau Jazz Nights, 25. – 29.7.2017 – Ein Tsunami im Emmental Die Langnauer Jazz Nights gehören seit vie- len Jahren zu den profiliertesten Sommer- festivals der Schweiz. Ambrose Akinmusire und Donny McCaslin hiessen die diesjähri- gen Festival-Attraktionen. Von John scofield und Dave Holland bis chris Potter und Dave Douglas – wer in der aktuellen new Yorker Mainstream-Jazzszene rang und na- men hat, der schaut zumindest alle paar Jahre in Langnau vorbei. Dieses Jahr gelang es Walter schmocker und seinem team, gleich zwei Musi- ker ins emmental zu locken, die derzeit in den usa hohe Wellen werfen: den trompeter am- brose akinmusire und den saxophonisten Donny Mccaslin, der das letzte album "Blackstar" der 2016 verstorbenen Pop-Ikone David Bowie mass- geblich mitgeprägt hat. Beide sind beileibe keine newcomer; sie spielen als begehrte sidemen seit Jahren mit etlichen grossen namen und haben auch ihre eigenen ex- zellenten Gruppen. Bloss haben sie es aus ganz verschiedenen Gründen bis vor Kurzem nicht ins ganz grosse scheinwerferlicht geschafft. Der 35-jährige trompeter ambrose akinmusire, ein eigenwilliger, leicht vergrübelter Intellektuel- ler, spielt mit seinem eigenen, perfekt aufeinander eingespielten Quartett eine nicht leicht zugängli- che Musik; seine eigenen Kompositionen bewe- gen sich eher am rande des gängigen spektrums: feinste, bis fast ins unhörbare leise Klangge- spinste wechseln ab mit abrupt lospreschendem Powerjazz, zuweilen lässt er spröde Klangbilder ausfransen und zerbröseln, dann putzt ein locker dängelnder rhythmus die Überreste weg und lenkt das Geschehen ins Balladeske oder Bluesi- ge. und doch hängen alle diese disparaten teile irgend-wie zusammen, sie sind raffiniert inein- ander verschränkt, zu komplexeren Grossformen. so brillant vor allem die soli von akinmusire, ek- lektisch changierend zwischen dem erdigen Post- bop von roy Hargrove oder nicolas Payton, den abstrakt ausgeklügelten Linien von Dave Douglas und den Klangexperimenten der neutöner und - tüftler. eigentlich geht es immer mehr ums Kol- lektive als ums Individuelle, mehr um das kompo- sitorische Ganze und weniger um die improvisier- ten einzelteile. eine anspruchsvolle Musik also, die konzentrierte aufmerksamkeit erfordert, was möglicherweise erklärt, warum akinmusire bis heute eher als Geheimtipp gilt. einen echten musikalischen tsunami entfachte zwei tage später der 51-jährige saxophonist Donny Mccaslin. Wer die unerträgliche Lautstär- ke aushielt – immerhin etwa die Hälfte des Publi- kums –, der kam in den Genuss eines grossartigen Konzerts. Mccaslin, der die ganze tournee seinem verstorbenen Freund David Bowie widmete, wagt einen kühnen musikalischen Grenzgang: Wie Mi- les Davis einst Jazz, soul und Funk zu einer Musik zusammenbraute, die weder das eine noch das andere war, sondern etwas neues, Drittes, so amalgamiert Mccaslin die improvisatorischen er- rungenschaften des aktuellen Jazz mit dem syn- thetischen Pop aus dem umkreis von Bowie. nicht selten beginnt es mit sanft dahinfliessenden, inti- men songthemen, schwebenden, ambienten el- ektronischen Klanglandschaften des Keyboarders Jason Lindner), luftig-federleichten Pop-rhyth- men (Bass und schlagzeug: Jonathan Maron und nate Wood), die dann, angetrieben von Mccas- lins fulminanten, immer heftigeren Improvisatio- nen, gleichsam in die Jazz-Ästhetik hinüberwach- sen, sich in weiten spannungsbögen zu über- wältigenden Klangstürmen intensivieren und ver- dichten. eine neue Musik zwischen meditativem rausch im club-Format und entgrenzter Jazz-ek- stase – das hat man so bisher noch nie gehört. so ungewohnt und "anders" spielte sonst keine andere Gruppe an den diesjährigen Jazz nights; traditioneller gestimmte Gemüter aber kamen dennoch auf ihre rechnung, auch wenn nach akinmusire und Mccaslin alles ein bisschen sehr nach routine klang. Der 75-jährige Bassist Bus- ter Williams, ein erfahrener Haudegen seit den 1960er-Jahren, spielte mit drei ebenfalls routi- nierten studiomusikern eine reihe von standards zwischen Monk und shorter; dass das sehr kurz- fristig zusammengestellte Quartett ohne längere Vorbereitung auf die Bühne trat, rückte den auf- tritt in die nähe einer entspannten Jam-session. Mark Guiliana ist zwar ein glänzender schlagzeu- ger, aber ein zweifellos weniger glänzender Kom- ponist; die soli seiner Mitmusiker waren jeden- falls weit spannender als die etwas arg nach schreibtisch und reissbrett klingenden Kompo- sitionen. Zu den Highlights des Festivals gehör- ten gewiss das perfekt aufeinander eingespielte Quintett des trompeters roy Hargrove, während der saxophonist Greg osby, ein brillanter, aber nicht sonderlich mitreissender Musiker, im Quar- tett des Pianisten John escreet einen eher schwe- Ystad Sweden Jazz Festival, 1. – 6.8.2017 Wenn die Sängerin Deborah Brown am frü- hen Morgen bei der Session "Bye Bye Black- bird" anstimmt und im Hintergrund die Po- sitionslichter des Segelhafens leuchten, ist das einer der magischen Momente am Ystad Sweden Jazz Festival. Und wenn das Festi- valkomitee sich und das Publikum vor dem letzten Konzert besingt, kann das auch nur in Ystad sein. Im Laufe von acht Jahren hat sich an der süd- schwedischen Küste ein wunderschönes Festival entwickelt. 43 Konzerte an sechs tagen hat der künstlerische Leiter, Pianist Jan Lundgren, mit seinem team organisiert, was einiges an sitz- fleisch von den Fans erforderte. Überhaupt: Die Fans – welch grossartiges, aufmerksames Publi- kum! und in welchen Mengen: die organisato- ren konnten stolz den neuen rekord von 10’500 verkauften tickets vermelden. eröffnet wurde der Konzertreigen mit einer Hommage an eine der grössten schwedischen sängerinnen, Monica Zet- terlund. Ihrer wurde mit grossem Programm, mit Big Band und vielen Gästen gedacht. einen besseren ausklang als das still Dreaming Quartett von Joshua redman hätte man kaum finden können. Die Band mit Drummer Brian Bla- de, Kornettist ron Miles und Bassist scott colley zelebrierte die Musik charlie Haden‘s old & new Dreams Quartets mit Hingabe, energie und viel Interplay und riss das Publikum zu standing ova- tions hin. In weiteren Konzerten legten die Pianistin Hiromi mit ihrem unfassbaren Duopartner edmar casta- neda an der Harfe einen begeisternden auftritt hin – kaum zu glauben, dass dieses brillante Duo erst seit einem Jahr zusammenspielt. Den Pianisten Iiro rantala, der in der 750 Jahre alten Klosterkir- che spielte, wollte das Publikum gleich gar nicht mehr gehen lassen, so sehr hatte es ihm der quir- lige Finne angetan. auch "ihren" Festivalleiter Jan Lundgren liebt das Publikum, sodass seine Konzert überbucht waren und Zusatzshows angeboten wurden. sowohl das Duo mit Posaunist nils Landgren als auch sein Postdamer Quartett mit dem hinreissenden Drum- mer Morten Lund, Bassist Dan Berglund und Frontman Jukka Perkko durften nicht ohne enco- res von der Bühne. ein absolutes Highlight in einem Programm, in dem auch viele ausserhalb von schweden eher unbekannte skandinavische Musiker spielten, war das scottish national Jazz orchestra mit der sän- gerin eddi reader. Die sensiblen, ausgefeilten ar- rangements zu vielen poetischen oder auch vul- gären und dreckigen robert-Burns-texten waren eine entdeckung. Louis van Dijk, 76-jähriger holländischer Pianist, spielte zum ersten Mal in schweden überhaupt und begeisterte sein Publikum. Deborah Brown hatte für ihr ella Fitzgerald tribute ein Kammer- orchester dabei und verschmolz stimmlich gera- dezu mit den streichern. Das Programm des trompeters oskar stenmark, der schwedische Volkslieder aus seiner Heimat umsetzte, nicole Johänntgens soFIa Projekt und tonbruket um Bassist Dan Berglund seien als weitere Highlights genannt. Dagegen fiel der Guest of Honour, al di Meola eher ab. Leider war das eines der wenigen schwächeren Konzerte mit Kompositionen, die sich sehr ähnelten und zu vie- len noten. Jan Lundgren freut sich über die entwicklung sei- nes Festivals, umfangreicher soll es allerdings nicht werden, sonst wäre es auch mithilfe der 130 enthusiastischen Jazzvolunteers nicht mehr zu stemmen. Dass Lundgren ab september auch künstlerischer Leiter des Jazzhus Montmartre ist, sieht er nicht als zusätzliche Belastung. "2017 haben wir in Ystad 43 Konzerte an sechs tagen angeboten, in Kopenhagen werde ich Musiker für drei oder vier tage-Gigs buchen. Das sind dann auch nicht viel mehr als 43 Bands im Jahr. also verteilt sich die arbeit nur etwas anders." Angela Ballhorn ren stand hatte. Die klare, quasi "aufgeräumte" spielweise osbys passte schlecht zu den hin und her flutenden Klangwogen, die entfernt an Mccoy tyner oder cecil taylor erinnern, aber eben bloss entfernt: escreets überbordendem tastengewu- sel fehlt der Gestaltungswille, das klare Formbe- wusstsein. Das Finale des Festivals bestritt dieses Jahr das Quartett von stanley clarke, dem unüberbietbaren Weltmeister der Hochgeschwindigkeits-Bassis- ten, der seit vielen Jahren seine grosse rock- jazz-Vergangenheit in chick coreas "return to Forever"-Band mit charme und viel selbstironie rezykliert. Christian Rentsch Foto: GrIstoPH GraF/Foto-GraF.cH Foto: DraGan tasIc/nGa.cH Donny McCaslin Ambrose Akinmusire

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